Nicole Jaquemet
Nicole, du hast einen sehr interessanten Lebenslauf und eine spannende College-Fussball Vergangenheit. Starten wir mit deiner Fussballkarriere: Wo hast du angefangen und welche Stationen hast du durchlaufen?
Begonnen hat alles im Alter von sechs Jahren im lokalen Fussballclub beim FC Dielsdorf. Dort habe ich sechs Jahre lang in einer reinen Jungenmannschaft gekickt. Mit 12 Jahren wurde ich zum ersten Mal in die Zürcher Regionalmannschaft aufgeboten und mit 14 Jahren ging dann ein erster, grosser Traum in Erfüllung als ich ins Ausbildungszentrum des Schweizerischen Fussballverbandes aufgenommen wurde. Gleichzeitig folgte der Wechsel in die U-18 der FC Zürich Frauen, mit welchen ich am Wochenende jeweils die nationale Meisterschaft bestritt.
Mit 15 Jahren gab ich mein Debüt in der Schweizer U-17 Nationalmannschaft sowie in der Nationalliga A bei den FC Zürich Frauen. Nach Ende des Ausbildungszentrums, absolvierte ich das Kunst- und Sportgymnasium Rämibühl. Während dieser Zeit durfte ich drei Schweizer Meister Titel als Stammspielerin bei den FC Zürich feiern sowie zweimal an der UEFA Women’s Champions League teilnehmen. Zudem war ich weiterhin ein fester Bestandteil der U-17, U-19 und U-20 Nationalmannschaften, inklusive Qualifikationen für eine U-19 UEFA Europameisterschaft und zwei U-20 FIFA Weltmeisterschaften.
Nach Ende meiner Zeit am Kunst- und Sportgymnasium Rämibühl wollte ich weder auf den Fussball noch auf das Studium verzichten. So folgte nach Abschluss des Gymnasiums der Wechsel ins Soccer Team der Louisiana Tech University.
Erzähl uns doch etwas über deine College-Fussball Zeit. Für welches Universitätsteam hast du gespielt und was hast du studiert?
Ich habe während meiner gesamten College-Soccer Zeit für die Louisiana Tech University (LA Tech) im Süden der USA gespielt. Colleges, die der NCAA angehören, sind in drei Divisionen eingeteilt, wobei die LA Tech in der ersten und somit höchsten Division spielt.
Die Fussball-Meisterschaft in den Staaten ist etwas anders konzipiert als hier in Europa. Von Dezember bis Juli steht die Off-Season mit Fokus Kondition, Taktik und Studium an. Die Pre-Season beginnt anfangs August und inkludiert drei Trainingseinheiten pro Tag und einige Testspiele gegen andere Universitäten. Die Meisterschaft an sich ist ziemlich kurz und dauert nur von September bis November. Dafür ist sie umso intensiver, da meistens freitags und sonntags ein Meisterschaftsspiel ansteht. Aufgrund langer Reisezeiten und grosser Hitze sind die Spielregeln auch etwas anders. Das Kader umfasst deutlich mehr Spielerinnen (ca. 30) und zudem ist die Anzahl an Auswechslungen nicht beschränkt.
Schulisch-gesehen hatte mich der englische Literaturunterricht in meinem ersten Jahr am meisten interessiert und herausgefordert. Ich habe dabei nicht nur die Sprache in Wort und Schrift perfektioniert, sondern auch viel über die englische und amerikanische Kultur, Politik und Gesellschaft gelernt. So entschloss ich mich, neben dem Fussball, einen Bachelor of Arts in Englisch und einen Minor in Modern Languages (Fokus auf Französisch) zu absolvieren.
Wieso hast du genau diese Universität ausgewählt? Auf was hast du dich bei der Auswahl der Universität speziell geachtet?
Die Auswahl der Universität fiel mir ziemlich schwer. Meine Auflagen waren, dass ich ein Vollstipendium erhalte, dass das fussballerische Niveau hoch genug ist und dass die Universität Studienrichtungen in meinem Interessensgebiet anbietet.
Als Fussballerin mit einer Matura und Einsätzen in der Nationalmannschaft stehen die Chancen relativ gut, dass man ein Vollstipendium in den USA erhält. So erhielt ich zahlreiche Angebote von verschiedenen Universitäten, die ich mit Hilfe von Recherchen und Erfahrungsberichten von Spielern und Trainern überprüfte. Dabei fielen nach und nach Angebote aus meiner Präferenzliste, bis nur noch die interessantesten Angebote übrigblieben. Letztendlich hat mich das Engagement des Coaches der LA Tech überzeugt, einen Vertrag bei der Uni zu unterschreiben.
Im Nachhinein würde ich jeder Spielerin zudem noch raten, herauszufinden, wie lange der Coach bereits Trainer an der Universität ist, wie lange sein Vertrag noch anhält und wie häufig der Coach in der Vergangenheit Teams gewechselt hat. Instabilität im Trainerstab führt häufig zu Schwierigkeiten.
In der FCZ Academy hast du bereits vor deiner College-Zeit auf einem sehr hohen Niveau gespielt. Wie schätzt du die Stärke der Spielerinnen im College ein? Konntest du dich in dieser Zeit nochmals weiterentwickeln?
Das kommt sicherlich auf das Team drauf an. Es gibt professionellere und weniger professionelle Teams. Es ist wichtig, dass man alles genau prüft, bevor man einen Vertrag unterschreibt. Ich habe beispielsweise den Background der Spielerinnen und deren Spiel recherchiert, um die Einstellung und Spielweise des Teams besser zu verstehen. Ich persönlich hatte mich gerade von meiner zweiten Knieoperation erholt und war nochmals voller Ambitionen. Dementsprechend wollte ich ein Team auswählen, dass mir sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten bieten konnte.
Generell ist der Frauenfussball in den USA viel athletischer als in Europa. Fitness, Ausdauer, Schnelligkeit und Kraft gehen der Technik meist voraus. Zudem sind die Amerikanerinnen mental viel stärker unterwegs. Es zählt nur der Sieg. Im athletischen und mentalen Bereich konnte ich deshalb enorm viel profitieren, was mir auch heute noch hilft.
Rein fussballerisch gesehen (Infrastruktur, Training und Technik) war die Qualität vielleicht nicht ganz so hoch wie beim FC Zürich. Trotzdem bin ich der Meinung, dass man in diesem Alter bereits eine gute, technische Grundlage geschaffen und eine genügend professionelle Einstellung haben sollte, um das fussballerische Niveau aus Europa beizubehalten. Man sollte Wert darauflegen, diese Aspekte selbständig weiter zu verbessern und auf die gute, fussballerische Ausbildung in der Schweiz aufzubauen. Letztendlich fehlt es uns Schweizerinnen im internationalen Vergleich meist mehr an der Athletik und Mentalität als am Spielerischen. Deshalb sollte man die College-Jahre in der USA vielmehr nutzen, um genau diese Qualitäten weiterzuentwickeln.
Wie kam es dazu, dass du dich für College-Fussball interessiert hast? Hattest du dir auch Gedanken darüber gemacht, dich ausschliesslich auf eine Profi-Sport-Karriere zu konzentrieren?
In der Schweiz durfte ich die grösstmöglichen Erfolge bereits mit dem FC Zürich feiern und so professionell, wie in der Schweiz möglich, Fussball spielen. Für weitere Herausforderungen musste ich über die Landesgrenze hinausblicken. College-Fussball hatte ich schon länger im Hinterkopf, da das Schweizer Fussball-Aushängeschild, Lara Dickenmann, sowie einige andere gute Schweizer Fussballerinnen, bereits vor mir den Schritt an ein College gewagt hatten. Studium, Fussball, Auslanderfahrung und Englisch schienen mir eine gute Kombination. So entschied ich mich, ebenfalls den Schritt an ein amerikanisches College zu wagen.
Eine Vollprofi-Option stand bei mir dazumal nicht zur Auswahl. Dies zum einen, weil es zu dieser Zeit noch nicht so viele Möglichkeiten gab, zum anderen wegen meinem gesundheitlichen Zustand. Zudem hatte die Ausbildung stets oberste Priorität und der Ausgleich zwischen Sport und Schule half mir Topleistungen zu erbringen.
Viele Spieler berichten, dass College-Sport eine einmalige und prägende Erfahrung war. Was hat dich in deiner Zeit in den USA am meisten geprägt? Was ist dir besonders gut in Erinnerung geblieben?
Mir sind zwei Dinge besonders in Erinnerung geblieben: «People make places» und die amerikanische Winner-Mentalität.
Wenn man an Amerika denkt, kommt einem meistens Kalifornien, New York oder Miami in den Sinn. Man vergisst häufig, dass Amerika zu einem Grossteil auch aus ländlichen Gebieten besteht. Meine Universität war beispielsweise in einem reinen Studentendorf und es hatte nicht allzu viele Möglichkeiten etwas abseits der Uni zu unternehmen. Doch so lernte man sehr schnell und einfach Studenten aus aller Welt kennen. Vor allem die Sportteams waren sehr international und wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Bei jeder Gelegenheit waren wir zusammen in einem Auto und machten einen Road Trip, besuchten die Familie einer Mitspielerin oder unterstützten die anderen Sportarten an den Heimspielen. Auf dem Campus war immer etwas los.
Als College-Sportlerin wird man in den USA hoch angesehen und man spürt, dass der Sport generell einen viel höheren Stellenwert als in der Schweiz hat. Amerikaner verpassen keine Chance, mit voller Leidenschaft auf den Platz zu stehen und die amerikanische Winner-Mentalität zu leben – «go out and do it» heisst das Mantra. Neben den Höchstleistungen hat aber auch der Respekt zum Sport einen hohen Stellenwert. Diese Einstellung – den Gegner zwar zu respektieren, aber dennoch an seine eigenen Stärken zu glauben sowie nie aufzugeben – begleitet einem den Rest des Lebens und hilft nicht nur auf dem Rasen, sondern auch später in der Arbeitswelt.
Was würdest du zukünftigen College-Fussball Spielerinnen und Spielern aus der Schweiz auf den Weg geben? Auf was sollen sie während ihrer Zeit in den USA besonders achten?
Die Zeit als College-Athlet ist eine spezielle Zeit. Man hat überschaubare Verpflichtungen, kann viel reisen und den Sport sowie das Studium bestens miteinander kombinieren. Das Profil eines College-Athleten ist aussergewöhnlich, sodass man bei späteren Bewerbungen häufig positiv heraussticht. Ich würde so offen, neugierig und abenteuerlustig sein wie nur möglich, um neue Leute und Orte kennenzulernen. Gleichzeitig soll aber die Leistung im Sport und vor allem im Studium nicht leiden – je besser die Noten desto mehr Möglichkeiten hat man nach der College-Zeit. Zudem habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, in dem ich während den Sommerferien jeweils ein Praktikum in der Schweiz absolvierte. Dies erlaubte mir, erste Arbeitserfahrungen zu sammeln und mein berufliches Netzwerk in der Schweiz aufzubauen.
Was hast du nach deiner College-Zeit in den USA gemacht? Wo findet man dich heute und was machst du?
Nach Abschluss des Bachelors an der LA Tech folgte ein Master in Management am Imperial College in London. Amerika und das Vereinigte Königreich haben ähnliche Ausbildungssysteme, was eine Weiterführung des Studiums vereinfachte. Dieser Master hat mir dann auch einige berufliche Türen geöffnet. Nach Abschluss folgte meine erste Festanstellung bei Capco London, einer weltweit tätigen Management- und Technologieberatung für die Finanzdienstleistungsbranche. Auch heute arbeite ich noch bei Capco und konnte mich erst kürzlich innerhalb der Firma in die Schweiz transferieren lassen.
Obwohl ich mit dem Wechsel nach London die Fussballschuhe an den Nagel gehängt habe, ist Sport stets ein wichtiger Bestandteil meines Alltags. Zudem glaube ich kaum, dass ich ohne die Erfahrungen im Spitzensport und am College dieselben Berufsmöglichkeiten gehabt hätte. Das College bietet also eine ideale Grundlage für eine weiterführende Fussball-Profikarriere (siehe Lara Dickenmann) oder eine herausfordernde Berufskarriere. Ich würde deshalb jedem der die Möglichkeit hat, ein Student-Athlete an einer amerikanischen Uni zu werden, wärmstens empfehlen, die Challenge anzunehmen und ein neues, unvergessliches und prägendes Lebenskapitel zu starten.
Nicole, wir danken dir ganz herzlich für das spannende Interview. Wir wünschen dir viel Erfolg und hoffen, dass du weiterhin mit dem College-Sport in Kontakt bleibst.